Die Welternährungskrise war nie vorbei!
Die aktuellen Katastrophen zeigen: Wir brauchen eine Wende in der Agrarpolitik. Nur so kann der Hunger weltweit effektiv bekämpft werden. Ein Gastbeitrag von R. Südhoff*
Die Situation ist dramatisch: Der Preis für Weizen ist in Europa allein im Juni um 50 Prozent gestiegen, an der wichtigen Börse in Chicago sogar so stark wie noch nie in den vergangenen 60 Jahren. Russland und Kanada, nach den USA die größten Weizenexporteure weltweit, werden 2010 weit weniger Getreide ausführen als geplant. Russland droht sogar mit einem kompletten Exportverbot von Weizen. (…)
Die Nahrungsmittelpreise liegen seit Langem wieder auf fast epochalen Höhen. (…) In vielen Entwicklungsländern sind die Folgen dramatisch: In Tadschikistan lag der Weizenpreis schon Anfang des Jahres mehr als 100 Prozent über dem Durchschnitt der Vorkrisenzeiten. In Sri Lanka sollen die Ärmsten der Armen für Reis mehr als das Doppelte bezahlen, genau wie in Benin, wo Hirse sogar mehr als das Dreifache kostet.
Ein globaler Trend mit verheerenden Folgen: Allein 2009 sind über 100 Millionen Menschen zu zusätzlichen Hungernden geworden. Es ist, als seien binnen Monaten alle Bewohner Deutschlands, Österreichs und der Schweiz in eine Hungersnot geraten. So wie nun insgesamt eine Milliarde Menschen weltweit, so viele wie nie zuvor. Unbemerkt von der Weltöffentlichkeit hat die 2008 ausgebrochene Welternährungskrise damit an vielen Orten erst jetzt ihre Wirkung entfaltet. Und während die Krise sich im Süden erst richtig ausbreitet, sinken im Norden Zuwendung und Zusagen. (…)
Seit dem Jahr 2000 überstieg die weltweite Nachfrage nach Getreide fast jedes Jahr das Angebot. Das verdeutlicht das eigentliche Problem, das hinter den aktuellen Katastrophen wie den Waldbränden und der Jahrhundertdürre in Russland steht: Die Ära der Nahrungsmittelüberschüsse ist vorbei.
Bevölkerungswachstum, wachsender Fleischkonsum und Biospritproduktion haben eine völlig neue Epoche eingeleitet. Bis 2030 muss die Menschheit die Produktion von Nahrungsmitteln um 50 Prozent erhöhen, damit alle Menschen satt werden. Hunger ist künftig nicht nur eine Frage der gerechteren Verteilung. Wenn wir nicht umsteuern, wird es immer öfter gar nicht mehr genug zum Verteilen geben.
Wir brauchen eine Wende in der Agrarpolitik. Es muss mehr investiert werden, wir müssen die Handelsbedingungen fairer** gestalten und die Hungernden durch Landreformen fördern. Denn höhere Agrarpreise eröffnen für die Produzenten in den Entwicklungsländern neue Möglichkeiten.
Doch diese historische Chance wird auf tragische Weise verspielt: Noch vor 20 Jahren floss fast ein Fünftel der Entwicklungshilfe in den ländlichen Raum – heute sind es keine fünf Prozent mehr. Die Staaten Afrikas haben versprochen, zehn Prozent ihrer öffentlichen Mittel in die Landwirtschaft zu investieren. Real sind es um die vier Prozent. Das UN World Food Programme hat den Auftrag erhalten, 2010 rund 115 Millionen der am schlimmsten Hunger leidenden Menschen weltweit zu unterstützen. Bislang sind aber nur rund ein Drittel der dafür benötigten Gelder geflossen.
Wir müssen alle dringend verstehen, dass die Welternährungskrise nie beendet war. Sie ist seit 2008 eine Dauerkrise und die humanitäre Herausforderung für die nächsten Jahrzehnte. Nur wer das begreift, kann den Hunger besiegen.
*Das UN World Food Programme (WFP) ist die größte humanitäre Organisation der Welt. Ralf Südhoff ist WFP-Chef für Deutschland, Österreich und die deutschsprachige Schweiz.
http://www.zeit.de/wirtschaft/2010-08/lebensmittel-preise?
**Was ist "Fairer Handel"?
Der Gerechte Handel ist eine neuartige Form der Solidarität zwischen Produzenten und Verbrauchern, indem die Preise fair gehandelt werden und indem die Produzenten sich zu sozialen und ökologischen Leistungen verpflichten. Den Kleinbauern und den Handwerkern in der 3. Welt werden für ihre Produktion Preise garantiert, die 20 bis 30% über denen des lokalen Marktes liegen. Damit können diese Gruppen nicht nur unter menschenwürdigen Verhältnissen arbeiten, sondern können auch einen Teil ihrer Gewinne in Sozial- und Förderprogramme investieren, um aus eigener Kraft ihren Lebensunterhalt zu sichern und selbst für ihre eigene Weiterentwicklung zu sorgen. Die Devise des fairen Handels lautet: Fairer Lohn und menschenwürdige Arbeitsbedingungen statt Spenden. Viele Organisationen handeln nach diesen Prinzipien und benutzen verschiedene Begriffe wie Made in Dignity - FAIR TRADE - Max Havelaar.
Fragen zum Text
1. Wer ist der Verfasser? Wo und wann ist der Text erschienen ?
2. Was ist seine Absicht?
3. Welches sind die Ursachen der Welternährungskrise? Warum ist es eine dauerhafte Krise?
4. Welche Folgen hat die Krise?
5. Welche Vorschläge macht er um das Problem zu lösen ?
6. Füllen Sie das Schema aus mit Hilfe ihrer Antworten.
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